|
|
Kurzgeschichten und Gedichte
Der Verlust meiner Schuld
Werde ich eigentlich schuldig, wenn ich meine Unschuld verliere?
Wann überhaupt habe ich meine Unschuld verloren?
Das zu untersuchen, finde ich sehr interessant.
Haben Schuld und Unschuld etwa nur etwas mit der Sexualität zu tun?
Wer behauptet das?
Die Kirche?
Ich finde, Unschuld kann man doch nicht an einem intakten Jungfernhäutchen oder an einem bisher für eine mögliche Fortpflanzung unbenutzten Penis festmachen!
Das könnte euch so passen, ihr angestaubten Moraliker!
Es muss ganz anders sein.
Es ist doch unbestritten, dass ich völlig rein und unschuldig auf die Welt gekommen bin.
Wie ein jeder von uns.
Aber dann!
Dann geht das Lernen los.
Ich lerne, meine Bedürfnisse anzumelden:
Hunger, volles Windelpaket, Lust auf Zuwendung und Spielchen.
Zuerst sind meine Wünsche überschaubar.
Dann begreife ich, dass die anderen, die ständig um mich herumwuseln, auch Ansprüche besitzen, worauf ich als Neuling aber nicht reagieren muss.
Und schon beginne ich, mir ein Schuldkonto zuzulegen.
Ich lerne in diesem Zusammenhang Charme, noch zahnlos.
Wie ich Mami und Papi - nicht zu vergessen die Großeltern, manchmal auch die Geschwister, sofern partizipierend vorhanden - ganz einfach um den Finger wickeln kann!
Wenn ich merke, dass ich - wie die meisten Kinder - auf einem goldenen Thron sitze, ich, die kleine Prinzessin, der kleine Prinz, dann stecke ich schon ziemlich tief im Sumpf der Begierden.
Habe mir zu viel herausgenommen und dafür nichts oder kaum Nennenswertes zurück gegeben!
Das muss mir allerdings überhaupt nicht bewusst werden.
Die Sollseite meines Kontos wächst.
Und so mache ich weiter.
Immer weiter.
Fordern. Erwarten. Zumuten. Einklagen.
Ohne Belohnung läuft bei mir nichts.
Es kommt, wie es kommen muss.
Irgendwann ist Schluss mit Lustig.
Thronfolger, Thronfolgerin werden in die Verantwortung genommen.
Wie das Leben so spielt.
Sie wollen sich, wenn sie bis dahin nichts begriffen haben, dem natürlich entziehen.
Das klappt nur bedingt.
Und die Minusbeträge des Kontos wachsen weiter.
Ich gestehe: mir kam das nicht in den Sinn.
Die letzte Phase des Schuldenerwerbs habe ich nicht mitgemacht.
Es war mir ein Bedürfnis, pflichtbewusst meine Aufgaben zu erfüllen.
Zuverlässig. Treu. Konsequent. Eben preußisch.
Mein Konto ist inzwischen ausgeglichen.
Meine Schulden habe ich abgearbeitet.
Bin ich jetzt wieder unschuldig?
So gesehen, warum erklären wir uns nicht alle für schuldig, verharren in resozialisierungsfähiger Demut und vorbei ist's mit der menschlichen Evolution! Sind wir nicht bis hierher gelangt, auf Tastaturen, vor Bildschirmen, in virtueller Gesellschaft liebenswerter Zeitgenossen, die wir wohl anders nicht kennen gelernt hätten, weil wir geirrt, Schuld auf uns geladen und sie hernach abgearbeitet haben ?
Zugegeben, das Wort Dialektik, einstmals marxistisch-leninistisch vereinnahmt, kommt nicht mehr immer gut an, was aber wäre unsere Existenz ohne die unzertrennlichen Paare Trauer und Freude, bitterer und süsser Geschmack, Kälte des Winters und warm-anheimelnder Rausch des Sommers ?
? Point d'interrogation
Oh, ich glaube, wir alle hier träumten oder träumen noch immer von sunserem blauen Vogel. Ich wünsche mir, dass sich manche Träume nie erfüllen, denn was wünschte ich mir dann ? Denn das Gold des Himmels würde uns verändern, uns vielleicht die Freude über die vielen kleinen Dinge rauben.
Vor einigen Jahren, wir waren gerade in aller Ruhe vom Boulevard Rochechouard hinaufgestiefelt bis zur Rue du Cardinal Dubois. Dort fUhrt eine Treppe hinauf zu Sacre Coeur. Am Fusse stand eine ältere, etwas gebrechliche Dame, ihre kleine Einkaufstasche mit den Rädern in der Hand und schaute hinauf. Ich erbot mich und trug ihre Einkäufe hianuf, damals war ich noch nicht von allerlei kleinen körperlichen Miseren geplagt. Oben angekommen schaute sie mich an und sagte Merci. So, wie sie es sagte, und der Glanz in ihren Augen, nur für einen winzigen Augeblick, das war mein schönstes Geschenk seit Jahren. Für all das Geld dieser Welt hätte ich es nicht kaufen können, aber dieses Geld hätte mir vielleicht Die Empfänglichkeit für diesen Augenblick genommen.
Aber klar doch, irgendwo in meinem Inneren, wohnt auch der surrealistische Traum von der grossen Erbschaft... Ich höre eben immer noch die Schellen des Schlittens des Weihnachtsmannes ... (Polar Express) ...
Wo seid Ihr denn alle in Eurer Trauer und Mutlosigkeit; wir ahnten und schrieben es doch schon vor Wochen. Bitte ermutigt Euch, lebt Euren Alltag weiter und freut Euch über ein kleines Lächeln, welches man ganz unvermutet mitten auf der Straße beim schnellen Einkaufsgang geschenkt bekommen kann - wenn man es erst einmal anbietet...
Schön, Wassermann, machen wir einfach so mit einem Lächeln weiter - und zuweilen nickt man sich dann auch noch zu. Ich erlebe es in der Stadt und in der S-Bahn immer wieder einmal. Gestern meinte der Zug-Begleiter beim Aussteigen in Leipzig zu mir: "Genießen sie das schöne Wetter heute"... Das sind so kleine Gesten, und man spürt, dass es wirklich noch wache Menschen unter uns gibt.
@wehnuss, gibt es für das Angeklagte nicht den Begriff "Infantilisierung (der Gesellschaft)"?
Wessen vorglobalisiertem (aka "überkommenen, bösartigem") Moralverständnis entspringt eigentlich der absurde Gedanke, dass ein "Konto" ausgeglichen sein sollte? Wer führt denn überhaupt dieses Konto? Ist es nicht viel zeitgemäßer, stolz darauf zu sein, wenn man ein großes Zugeständnis für eine möglichst nichtige Gegenleistung erlangt hat? Zum (gesellschaftlichen) Glück führt nur die Schnäppchenjagd und der Geist des Schacher!
Was die Alten und Kranken und überhaupt die Mitmenschen angeht: Augen zu (bzw. auf's Smartphone) und weggehört (bzw. Kopfhörer auf). Liegt einer alter Mann vor'm Bankautomaten: Einfach darüber hinweggestiegen! Who cares!
Und habe ich euch nicht auf Figaro schon die Anekdote von der "Ökomutti" auf ihrem 100%-CO²-Footprint-korrektem Weltrettungsfahrrad (mit Kindersitz!) erzählt, die die krückbestockten Omas auf dem Fußweg (frühlingssonnegenießend im Gespräch) weggeklingelt hat? (Alma hatte mich dafür gerügt!)
Den modernen Ablass gibt es an der Fairtrade-Biotheke (und anderswo!): Für die, die so ein "seltsames" Gefühl haben. Und (weil sie eben auch fleißig mitmachen!) auch genügend Kohle.
Was "Timurhelfer" Vorace da aufgezeigt hat, sollte man m. E. ruhig als Handlungsvorlage (im kantschen Sinn) nehmen.
Ich habe es mir bei Autofahrten im Stadtrandgebiet bspw. zur Regel gemacht, Alte, die sich auf (absehbar mühseeligem) Fußmarsch befinden zu fragen, ob ich sie ein Stück mitnehmen kann. Gerade an heißen Tagen kann man da ohne nennenswerten Aufwand für große Erleichterung sorgen.
Und ja, vielleicht erwächst diese Empathie leichter aus der eigenen Erfahrung des körperlichen Verfalls :)
|
Forum Statistiken
Das Forum hat 240
Themen
und
2105
Beiträge.
Heute waren 0 Mitglieder Online: |
Forum Software ©Xobor.de | Forum erstellen |