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  • Einverstanden, ich habe ihn auch reingezogen und war positiv gestimmt ob des relativ objektiven Drehs.

    Ich weiss nicht, ob die oft rosafarben-süssliche Simplifikation der DDR-Geschichte wirklich nur Schönmalerei gewesen ist. Ich glaube vielmehr, das dies von dem unbebirrbaren und verbrüchlichen Willen getragen wird, die nunmehr in grossen Teilen dem Arbeitsprozess entzogenen Werktäglichen und Werktätlichen auf die einfachste Weise zu beruhigen. Nichts ist so schmerzhaft und verstörend wie Dokumentationen, welche die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit historischer Prozesse darstellen. Das jedoch ist in unserem heutigen (politischen) Leben höchst unpassend und dient nur der Desorientierung der breiten Massen, in den Köpfen der Politiker als Plebs oder Manövriermasse indiziert.

    Oft ausgegrenzt im Internet (ich habe die falsche regional zuzuordnende IP), habe ich etwas Geld rüberwachsen lassen, um dieses Problem zu meiner Seh-Zufriedenheit zu beheben. Mit dem Blick eines hässlichen TV-Schmarotzers von aussen, der sich die tägliche TV-Misere antuen kann aber nicht muss, ist mein Blick vielleicht noch viel brutaler und, ich höre die MDR-Typen es sagen, unverständiger. Jedoch, ich bin oft begeistert von der sorgfältigen Behandlung geschichtlicher Themen auf der Hobelbank, wo alle Astlöcher und Unebenheit abgeschliffen werden. Dass der Krieg mit Sowjetrussland am 22. Juni 1942 begann, ist dabei noch den geringsten Lacher wert.

    So habe ich mich in die Welt der Bücher zurückgezogen. Sie richten weniger geistigen Bewegungsschaden an, weil ja die SMS weitaus einfacher zu erfassen sind und die Augen, vom Gehirn mag ich gar nicht erst zu reden, weniger fordern. Das ist vielleicht der Grund, dass sich auf den Seiten vieler Darstellungen zur DDR-Geschichte sich deren Autoren weniger einbügeln lassen müssen.

    Warum macht man nicht einfach « Die Stunde des Skorpions » zur Pflichtvision im Gemeinschaftsempfang, gefolgt von « Ich, Axel Caesar Springer» Filme, die so herrlich unobjektiv waren !

    Sorry, @magentis, aber manchmal muss es raus. Wollte Deine Betrachtung absolut nicht Frage stellen, aber sind wir nicht alle ein wenig Unterlauf ???

  • ReiserouteDatum07.04.2017 16:29
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Da wir nun einmal die Verpflegungsfrage unserer Reise gestreift haben, so entweichen meine Gedanken ganz automatisch in eine gefährliche, weil stets mt dem Risiko einer gewissen Völlerei verbundene Richtung.

    Vorgestern verfügten wir uns zur Mittagszeit in eines der Restaurants der belgischen Kette « Crocodile ». Wer nun meint, es sei dort der Spörl'sche Unterschied zwschen einem Krokodil zu klären gewesen (im Wasser schwimmt's, auf dem Land läuft's), der irrt. Der Name wurde von den grünen elektrischen Monstern auf Rädern entlehnt, die sowohl bei den Eidgenossen als auch in Österreich die mannigfaltigen Züge der zwanziger Jahre über die Alpen zerrten.

    Da nun diese langen und schweren Ungetüme knapp geworden sind und im Inneren auch kaum Platz bieten für einen aufrecht sitzenden Menschen (derer es nun viele hat in einem Restaurant), so stellten die Betreiber ein oder zwei alte Reisezugwagen der belgischen Eisenbahn neben das Hauptgebäude.Im Inneren sitzt es sich auf sehr angenehm gepolsterten Sesseln der ersten Klasse und es scheint, dass der Zug auf einem Vorortbahnhof gestrandet, an jeglicher Weiterfahrt gehindert und von Autos eingekreist sei, die frecherweise direkt neben dem Gleis Aufstellung genommen haben.

    Die Sonne blinzelte durch das Fenster und nach und nach verschwand ein Gast nach dem anderen, mit Wohlgefallen abgespeist und massiv am Buffet gesättigt, so dass nur noch wir übrig geblieben waren. Ich mag es nun einmal nicht, mit dem Uhrzeiger im Rücken die Speisen mit einem Flitzbogen in mich einzustülpen...

    Also kam diese so eigenartige Atmosphere auf, wie ich sie schon sehr oft erlebt hatte, und die mich immer auch ein wenig wehmütig gestimmt hatte. Der Zug schleppte sich seinem Ziel entgegen, ein nur von hargesottenen Handelsreisenden und vor nichts zurückschreckenden Touristen angelaufener Ort in den Bergen. Das Personal des Speisewagens immer noch hoffend, den letzten Gast zum Rückzug in sein Abteil bewegen zu können, begann die Tische neu einzudecken, ostentativ mit den Bestecken zu klimpern und den Gang auf und ab zu eilen.

    Schliesslich hatten auch wir endlich unseren Kaffee getrunken und unseren Diener vor der Kasse gemacht. Da verflog der Traum von einer unwiderruflich vergangenen Zeit, denn das riesige Einkaufszentrum hockte immer noch auf seinem Platz, das Gleis war nicht länger als der Wagen, in dem wir gesessen hatten, un der vermeintliche Bahnsteig war ein öder asphaltierter Platz.

    Für anderthalb Stunden aber hatte uns der Flair gefangen, als Ortsveränderung noch etwas kulinarisch besonderes war, manchmal auch mit schiefen Gläsern, weil die Strecke steil nach oben führte und der Cognac nicht das Tischtuch wohl aber den Gaumen benetzen sollte.

  • ReiserouteDatum06.04.2017 22:28
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Ach, jetzt wo ich ein frischgebackener Pensionär bin, überfällt mich eine Frage, und die Visionen vom herben Bier haben ihr nur noch mehr Gewicht verschafft: Wie weit geht unsere Integration in ein nun einmal durch die Umstände gegebenes Leben, welches ein vielfach anderes ist, als jenes, für welches wir einstmals vorgesehen waren.

    Als ich noch auf der langen Essensliste der Deutschen stand, habe ich gern und viel Bier getrunken. Heute geniesse ich einmal im Monat ein hiesiges Bier, welches sich doch beträchtlich vom Lager und auch dem Weissbier unterscheidet. Und wenn ich dann einmal wieder nach D kommeund dort in einem Hotel Hof halte (grins), dann labe ich mich am ersten Abend an einem Weissbier, am zweiten Abend an einem dunklen Ur-Kröstritzer und am dritten Abend an einem Thüringer Rotwein. Ich stelle überrascht fest, dass ich früher und die Deutschen noch immer viel Salz mögen.

    Bitte, das ist keine Kritik, denn dazu hätte ich als einstiger Mittäter kein Recht.

    Aber was noch eigenartiger ist: Nach sechs oder sieben Tagen möchte ich nur noch nach Hause und der Verstand souffliert mir gleichzeitig, dass dies doch das Land sei, indem ich aufgewachsen sei und doch fehlen müsse...

    Der Mohnkuchen, die Thüringer Leberwurst, die Granatsplitter, das wunderbare Brot in all seinen Sorten, aber auch die Dreifruchtmarmelade und der tiefbraune zuckersüsse Sirup , den ich mir auf die Graubrotscheibe kleisterte - war das alles nichts ? Erinnerung, wohlig warm, aber ohne immer neu entstehendes Verlangen.

    Da sind deutsche Wörter, die in meinem Wortschaft nicht vorkommen oder vom hinterlistig im Hintergrund agierenden und auf Effektivität bedachten Gehirn in die unteren Lagerräume verschoben worden.

    Die grosse Stärke des Menschen (Babylon 5) ist es, Gemeinschaften zu gründen und sich in diese zu integrieren. Das ist wohl wahr, aber manchmal ist es auch unheimlich. Mit und ohne Schwapp von Sirop.

  • Hihi, bonne idée, @magentis. Das nächste Mal, wenn ich wieder der thüringischen Versuchung erliege ... dann melde ich dies vorher an. Dann schauen wir einmal, ob sich diese gestützte Bank- (nicht Banken- !!!!!) Lösung in die Tat umsetzen lässt.

  • Ach, @magentis, ich würde gern, weil ich ja doch unter Thüringer Sonne aufgewachsen bin. Nur ist die Mechanik nicht mehr so pêrfekt wie in den vergangenen Frühlingstagen, ich muss nun die Rechnung einiger harter und körperlich sehr verzehrender Tage begleichen. Auch das ist Altern: Einserseits wehmütig, andererseits wütend auf mich selbst denke ich an die Zeit zurück, als ich zwanzig und mehr Kilometer am Tag dahinschlappte...

    A propos Weimar: Ich entsinne mich noch sehr gut der Dreharbeiten zu Lotto, ach nein, Lotte in Weimar, der in die Jahre gekommene Trolleybusse und des hohlne (wie die Nazi-Beglückungsideologie) Stahlbetonskeletts der gigantomanischen Halle im Gauforum. Die Stadt hat sich sehr gewandelt, wie ich während umeiner Forschungsarbeit im Staatsarchiv (des abends) feststellen konnte.

    Danke für das Angebot sagt @Vorace53

  • Es gibt ein Indiz absoluter Beweiskraft: Gestern, und das war kein Aprilscherz! - habe ich mich freiwillig in das Heer ver einstmals verbamteten Pensionäre eingereiht. Einen Rücksturz zur Erde (Major Cliff Allister Maclane aus der Raumpatrouille) wird es nicht geben, die längste Phase meines Lebens ist zu Ende. Nun kann es nur noch kürzer werden...

  • Sind Wir...Datum01.04.2017 16:26
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Sind Wir...

    Wir sind alle Abtrünnige, irgendwann und irgendwo. Ich bin der Lektüre der Zeitung abtrünnig geworden, weil ich wenig Zeit hatte. Ich meinte der Idee abtrünnig geworden zu sein, dass Amazon viele meiner kulturellen Bedürfnisse erfüllen könne, habe dann aber einen Schwenk vollzogen, weil eben die eigentlichen Kulturtempel das gewünschte Buch erst nach sechs Wochen hätten auftreiben können oder es gar nicht im Barsortiment ihres Zwischen-/Grosshändlers fanden.

    Ich bin dem Musikgenuss der schwarzen Langspielplatten abtrünnig geworden, weil es schlechthin an einem guten Plattenspieler mangelte. Indessen hat die Industrie das Schwinden ihrer Klientele vermerkt und nun bin ich wieder ein wenig der CD und den virtuellen Ausleihmedien abtrünnig geworden...

  • Sind Wir...Datum31.03.2017 22:19
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Sind Wir...

    Hum, so you might avoid the word renegade. Worin aber liege nun der Mangel an Glaubenswille, sollte es nicht zuvor ein kulturelles Postulat gegeben haben, von dem wir nun abgefallen seien ? Es wäre so vor, sagen wir einmal sechzig oder siebzig Jahren, als Zeichen der Unkultur aufgefasst worden, einer Theaterveranstaltung der RCA (Stratford-upen-Avon) in Schlaghosen, offenem Hemd und Wildlederweste beizuwohnen. Das Abfallen vom dress code hat wohl aber nichts an der Rezeption der Kultur geändert, vielleicht hat es dazu beigetragen, die Werke von Shakespeare zu demokratisieren.

    Ich meine, Du solltest uns vielleicht ein Indikator, ein Indiz hinwerfen, denn es könnte ja sehr gut sein, dass Du recht hast und ich irre.

  • ReiserouteDatum31.03.2017 21:57
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Liebe @Klara, mit Genuss bin ich wieder eingetaucht in die poetische Welt Rilkes. Danke für diesen Anstoss, hat sich doch mein kulturelles Umfeld seit den Jugendtagen erheblich gewandelt. Ich geniesse Verlaine und erfreue mich der so vollen altfranzösischen Sprache eines Rabelais. So ist es gut, dass das Band, welches mich dem Land meiner Vorfahren verbindet, nicht zerreisst.

    Frost ist leider im Französischen nicht so populär und auch in englischen Buchhandlungen macht er sich rar. So war ich froh, als ich erst unlängst The Collected Poems (Vintage Books 2013) entdeckte (ISBN 978-0-099-58309-7) Aber kennst Du (kleine Reiselektüre mit grossem Tiefgang) Wolfgang Hilbigs Gedichte, aufgelegt in einer festgebundenen Ausgabe bei S. Fischer ?

  • Sind Wir...Datum31.03.2017 21:36
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Sind Wir...

    Why for the hell, old chap, should we be treacherous ? I cannot remember that I pledged myself to follow the Kultourbus wherever it goes. So I am afraid, I am not a renegade. Sorry.

    So far to the English word « renegade ».

    Was den Eskapismus anbetrifft, so ist der Kulturbegriff so weit gefasst, dass es fast unmöglich ist, die « reine » Kultur zu definieren und dann (l'escapisme nous en oblige) ihr auszuweichen... Denn letztlich sind die Künste, oft eingrenzend als Inkarnation der reinen Kultur begriffen, nichts anderes als ein Spiegel, welchen sie unserem Leben vorhalten. Im Schloss Ansbach werden die Doppeltoiletten gezeigt, auf denen sich der Herr und sein nicht minder adliger Besucher, beim vielleicht schweren Geschäft vereint, über die Details des Regierens verständigten. Die Verquickung von menschlichen Bedürfnissen und der Arbeit prägt heute die Arbeitswelt, zwängt die Mitarbeiter in das nicht enden wollende Korsett des Arbeitsalltages, im Verlaufe dessen das Mittagsmahl neben den Unterlagen und häufig unterbrochen von fachlicher Rede und Gegenrede zelebriert wird. Aber halt, sprechen wir nicht von Essenskultur ? Wenn es sie nicht gebe, dann würden uns auch die aus feinstem Porzellan gefertigen Teller, Tassen usw; fehlen, etikettiert als Kunst und daher Zierde vieler Museen...

  • ReiserouteDatum31.03.2017 10:34
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Der Kultourbus verpflichtet.

    Eines abends, müde aus und gerade aus dem Zug gefallen, reihte ich mich sorgfältig ein in die Schlange, welche sich an der Haltestelle bildete. Alsbald kam eine Dame, vielleicht noch nicht gewöhnt all das alte Prinzip der ungeschriebenen Regeln der Disziplin, und stellte sich in der Mitte neben eine andere Aspirantin auf einen der abendlichen und sehr nachgefragten roten Busse. Die auf diese Weise betroffene andere Dame hob den Blick und sagte einige wenige Worte, freilich ohne die Stimme zu heben, die zwar nicht zu mir durchdrangen aber dich meinte gut zu kennen. Wie ein geprügelter Hund nahm die freche Reihenreiterin den letzten Platz ein. Belohnt wurde sie letztlich dann doch noch, der Bus, als er hielt, war ungewôhnlich leer und so fand sie sogar einen Sitzplatz.

    Am Morgen, noch halb im Schlaf, war ich nach York aufgebrochen; Da war die frohe Botschaft an mein Ohr gedrungen, dass der Zug wegen eines Dammrutsches bei Sheffield umgeleitet und ergo verspätet sein würde. Zehn Minuten später erschien der Zugchef persönlich, ging von Abteil zu Abteil und bat die Reisenden diesen Zwischenfall und seine Konsequenzen zu entschudligen. Welch Kontrast zu dem, was uns elf Jahre später widerfuhr. Im abendlichen TGV nach Paris Nord hielt man zuerst die Fuhre im Bahnhof der Rüben, Haute-Picardie, auf freiem Felde zwischen Lille und der Haupstadt angelegt, zurück.

    Nach einigen zehn Minuten entschloss sich die Bahnverwaltung in einer für die reifere Jugend adaptierten Dosis den Selbstmord eines unglücklichen Menschenkindes zu erwähnen welches sich in Chantilly vor einen anderen Zug gestürzt hatte. Nach einigem produktiven Nachdenken fiel die Entscheidung, den, Zug um Paris herumzuleiten und in Marne LaVallée Chessy umzuleiten. Unverzüglich begann das grosse Telefonieren um die wartenden Familienreste, angetreten zum Empfang, nach dem Süden von Paris umzuleiten.

    Doch wie gross war mein Erstaunen, als der Zug, wie vorgesehen, in Paris Nord hielt. Kein Wort, keine Entschuldigung.

    Wie gut waren doch der VEB Kraftverkehr und die Deutsche Reichsbahn ! Die Entfernungen waren kurz, die Ansprüche gering. Ausserdem zahlte sich das harte Trainig eines Scouts (auch wenn dieses Wort in der DDR eher ein ih-Wort war) aus. Niemand erwartete nichts Besonderes für den kleinen Preis. Und wenn dem winzigen Speiseabteil die grausam zuckrige und warme Dulcia in den bauchigen Flaschen zu 0;33 l ausgegangen war - ich war es gewöhnt.

    Reisekultur für harte Typen oder Reisekultur für verweichlichte Schlappis ?

  • ReiserouteDatum30.03.2017 23:19
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Naja, da war auch dieser einmalige Flair von kondensiertem Wasserdampf, denn die mit Dieselkraft bewegten Züge wurde, wenn sie nicht gerade ein russischer Koloss abschleppte, mit Wasserdampf beheizt. Manchmal auch, wenn die letzte Grosswäsche in der Nacht der vergangenen Zeit vollzogen worden war, so steckte in den Textilien der Vorhänge auch so ein gewisses Aroma von Schwefel und Braunkohlenrauch. Dies gab es zu geniessen, wenn in den Grossraumabteilen der 18 Meter langen Wagen aus Halberstadt sich das nächtliche Schaukeln mit der Lichtflut verband, der Köper aber nach Schlaf lechzte und nur noch das Bedecken des Gesichtes mit dem Fenstervorhang eine gewisse Ruhe versprach... Das Beste waren aber die weissen, einheitlich duftenden Geruchsverzehrerstein in den Metallgehäusen der Toiletten. Der Duft der grossen weiten Reichsbahnwelt eben.

  • ReiserouteDatum28.03.2017 13:50
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Geht schon. Himmlisches Verwaltungsstandrecht. Keine Sorge, nach einigen Jahren Trump werden die Wetterkapriolen noch netter werden...

  • ReiserouteDatum28.03.2017 09:45
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Ach, die dicke Grau-Brotscheibe und das initiale Thema « Reiseroute » inspieren mich, über den Aspekt der Verpflegung von Reisenden, eingepfercht in die ultramodernen verschiedenfarbigen Reisewagen auf Schienen nachzudenken.

    Vergangen die entschleunigte Zeit, als Reisendem noch gestattet war im ersten oder zweiten Durchgang an einem weissgedeckten Tisch mit richtigem Besteck und einer schrecklich vielfältigen Speisekarte Platz zu nehmen. Es gab einen oder zwei höflich Kellner und eine enge Küche am Wagenende, wo, man bedenke diese eklantante Blasphémie der so geliebten Fastfoodkette! - richtig gekocht wurde.

    Hinter den Fenstern vollzog sich indessen ein Défilée all der Orte und Landschaften, in die wir uns, getrieben von einer kurzlebigen Impulsion gern begeben hätten, welche sich jedoch selbst im langsamsten Schnellzug der Welt auf dem Weg nach St Moritz unserer Neugier durch diesen sterilen Transit entzogen.

    Es empfiehlt sich heute hingegen, wie in den vergangenen Zeit der Postkutschen, Proviant zu erwerben: Eine Flasche grässlich süsser Cola hier, ein oder zwei gut gefüllter Sandwiches an einem anderen Kiosk. Darauf, in Erwartung der Unberechenbarkeit des grossen Eisenbahn- oder Strassenzustandsschiedsrichters, legen wir noch ein oder zwei herrlich süssen und von Unmengen von Zucker gebeutelten Cookies oder Muffins.

    In einer Zeit, als ich noch mehrere Stunden im Eurostar zwischen London und Lille zubringen musste, wurde das fertige und der kalten Versorgungslinie entnommene Abendmahl am Platz serviert. Nachdem ich Glasstücken darin gefunden hatte, verzichtete ich künftig auf diesen Service. Die Lektion war leicht zu begreifen: Die kulinarische Kultur im rollenden Zuge war definitiv der alimentären Unkultur gewichen.

    Doch selbst die Akzeptation der letzteren, eine leicht verborgene Unterwerfungserklärung, bewahrte uns nicht vor der grinsenden Leere in der Magengegend. Nach Hingabe einer koketten Summe gab es im damals noch existierenden Schlafwagenzug Paris - Berlin Hbf das Schlafrecht in einem Bett und das Versprechen eines Abendmahls im Speisewagen. Waren die Betten tatsächlich vorhanden, so war der Speisewagen gerade nicht vorrätig. Ein Gutes hatte diese schienengebundene Fastkur: Die einzige Toilette des Schlafwagens beherbergte in bemerkenswert materielle Union die Dusche und diente gleichermassen der Klientel des Schlafwagens wie auch des benachtbaren Liegewagens nach Moskau...

    Der Kultourbus hingegen kennt diese Probleme nicht, er gestattet es uns grosszügig, sich « voll umfänglich » ganz entsprechend unseres Geschmacks mit Viktualien zu versorgen, während wir uns der weitaus wichtigeren geistig-kulturellen Dimension unseres Daseins hingegeben.

    Vorace53

  • ReiserouteDatum27.03.2017 10:39
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Es ist also wahr, lieber @magentis, nur ein Pessimist kann angenehm überrascht werden :-)

  • ReiserouteDatum26.03.2017 13:11
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Meine böse und nicht ganz ernstgemeinte Wahrnehmung des Buchgeschäftes :

    Phase 1: Bohrende Frage: Welcher englischsprachige Titel / Autor ist gerade in den USA in Vogue ? Rasch Lizenerwerb, danach eventuell kurze Lektüre des Klappentextes und Suche eines nicht zu teuren Übersetzers. Sprachliche Feinheiten, und die git es im Englischen ja entgegen übler Gerüchte ja doch, sind störendes Beiwerk. Sollten sie dann im Originaltext doch nicht vorkommen, um so besser. Sprachliche Vielfalt ist unvereinbar mit dem sympathischen SMSeutsch und zudem zu anstrengend.
    Leider ist der Lizenzerwerb eine teure Sache und / oder der Vorrat an brauchbaren englischen Texten ist begrenzt. Dann helfen nur Notlösungen:
    Phase 1a: Bekannter Autor schreibt auf jede Seite ein Wort. Ausgezeichnet, denn der Name und der verangenge Autorenruhm verkaufen sich immer noch ganz gut.
    --> Weiter mit Phase 3

    Phase 1b: Dank eines Skandals, mit dem sich der Autor umgibt oder umweben lässt, dank einer bemerkenswerten Erscheinung (sehr provokativ oder nur einfach jung und attraktiv, die Fotos sind später wichtiger als der Inhalt) oder aber einer besonderen Fähigkeit, die wirklichen Knackpunkte unseres Lebens aussen vor zu lassen, taucht der künftige Bestsellerurheber aus dem Nichts auf.
    --> Weiter mit Phase 2

    Phase 1c: Dank eines Namens, der mit allem aber nicht der Literatur verbunden ist, wird ein Ghostwriter gefunden. Dieser packt die gelallten Wahrheiten in lesbaren Text oder interviewt die Berûhmheit (weichgespülte ergo buchprojektdienliche Fragen). Die Beruhmheit erscheint mit einer weiteren Facette seines Könnens / seiner Erscheinung / seines Daseins.
    --> Weiter mit Phase 2

    Phase 2: Der Text wird nach dem Prokrustes-Verfahren dem corporate identity des Editors hinsichlich des styles und des contents angepasst.
    --> Weiter mit Phase 3
    Phase 3: Jetzt wird getrommelt. Es werden vordere Plätze auf den Bestseller-Listen eingekauft.

    Phase 4: Es wird ein Film nach dem Buch gedreht, meist ertrinken die letzten kümmerlichen Reste ansatzweise gezeichneter Charaktere und Konflikte im Staub der niedergelegten urbanen Kreationen, erliegen den sich auftürmenden Leichenmassen und werden vom Kunstblut hinweggeschwemmt.

    Phase 5: Nach drei Jahren machen sich die öffentlichen Bibliotheken daran, diesen Titel auszusondern. Anderes Blut und anderen Hekatomben haben dem Text den Rang abgelaufen.

    Phase 6: Nach etwa zwanzig oder dreissig Jahren wird der Film zum Kult. Ein leichtes Spiel, denn die einstigen Kultfilme sind verdrängt - Nachdenken tut weh und stört die rosarote Gemütlichkeit. Probleme gibt es ja ausserhalb der Literatur genug...

    Schönen Lesesontag


    PS. Robert Frost sollte aus Ostzeiten den Lesern von Robert Merles Texten (in der DDR grosszügig verlegt) bekannt sein: Die geschützten Männer....

  • ReiserouteDatum21.03.2017 20:49
    Foren-Beitrag von Vorace53 im Thema Reiseroute

    Ich bin ein wenig poetisch heute: Robert Frost : The Road Not Taken.
    Vorace53

  • Also, liebe Kinder: "Es war einmal..."Datum14.03.2017 20:09

    Ich lege das Handy (bei uns: portable, was freilich auch das Tablett oder ein Not-Buch bezeichnen kann...) beiseite und denke an die herrliche Zeit, als kaum jemand die gefrässige, lesende oder schnarchende Stille im Grossabteil des TGV oder IC störte, in dem er laut mit seinem Kollegen oder seiner kommandierten Ehegattin am anderen Ende sprach. Mein transportables Telefon hatte damals noch Grösse und Gewicht eines kleinen Notkoffers und eine Overkill-Leistung von 8 Watt. Im fahrenden Zug war es kaum oder gar nicht zu gebrauchen.

    Also bediente ich mich des Zugtelefons, züchtig am Wagenende installiert und, wie eine gute alte Telefonzelle, geeignet, die gesprächige Intimität zu bewahren. Das einzige Problem, an welchem ich mich rieb, war dies: ... And the operator says, '40 cents more for the next 3 minutes... Lediglich Sylvia's Mother hatte ich nicht in der Leitung...

    Zur Marx'schen Vergesellschaftung der Wirtschaft ist es nicht gekommen, dafür sind unsere Telefongespräche zum informativen Gemeingut geworden.

  • Guten Morgen, @magentis ,

    Sagen wir es einmal so: Man kann es uns Alten manchmal nie recht machen. Als ich jünger war, war es die Ungeduld, das Vorwärtsstreben, welches mich in Kollision mit der Realität führte, jetzt ist es die Kluft zwischen dem Erlebten, dem einstmals Gewohnten, dem Aperçu vergangener Jahrer einerseits und der Realität, welche sich ja so weiter entwickelt hat, wie ich es einstmals wollte.

  • Unsere Existenz vollzieht sich in Raum und in der Zeit. Die Bewegung in ersterer ist in unser Belieben gestellt, selbst im Angesicht des nahenden Krieges können wir sie um den Preis unseres Lebens verweigern. Die Bewegung in der Zeit hingegen ist uns auferlegt, egal, ob wir diese Dimension als Zeit bezeichnen und egal auch wie wir sie zu vermessen suchen.

    Die Orte unserer jungen Jahren gleiten nicht einfach sauber und in Vollständigkeit hinüber in das Reich unserer Erinnerungen, nein, sie fallen oft Veränderungen anheim und verlieren teilweise und oft auch über einen längeren Zeitraum den Charme unserer frühen Jahre (der Verlust der unangenehmen Ort wird wohl eher mit Erleichterung aufgenommen, weil das Gehirn oft ganz automatisch die Schmutzarbeit erledigt und die damit verbundenen Erinnerungen im nicht sofort erfahrbaren Archiv eingelagert hat).

    Über Jahre pendelte ich mit der Reichsbahn zwischen Gotha und Halle / Leipzig. Im Sommer, unter geöffneten Fenstern, regelmässig leicht geohrfeigt durch die seit Urzeiten nicht mehr gewaschenen Vorhängen, in rasche Bewegung versetztdurch den Fahrtwind, konfrontiert mit dem reichen Geruchsbuket von Schwellenimprägniermittel bis chemisch versetzter Saale, und versucht, im Lârm des Zuges die Schienenstösse zu zählen.

    Im vorigen Jahr sind wir nach Leipzig gefahren, im ICE. Sterile Atmosphäre, ein Flugzeug auf Rädern, watteweiche Unterhaltung, U-Bahnfahrt im Finnetunnel und dann bereits Rücksturz in den Leipziger Bahnhof. Der Ort meiner jungen Jahre existiert, er ist da, aber er ist verändert, hat andere Kleider angelegt oder unterliegt anderen Spielregeln (wir hätten ja nur einen Nahverkehrszug nehmen sollen, dann hätte ich die Saaleburgen wiederfinden können, den in einer Kurve liegenden Bahnhof von Bad Kösen und die Leipziger Vorstädte.

    Als ich jünger war, habe mich mir immer gewünscht, schneller und komfortabeler auf den Schienen vorangekommen, habe von den IC und den französischen Zügen geträumt, hätte jedewede Veränderung freudig hingenommen. Jetzt vermerke ich die Mutation der Erinnerungsorte als eine Degradation, also bin ich alt geworden. Oder?

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Beiträge: 66
Ort: Frankreich, Lille
Geschlecht: männlich
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